13. September 2017 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Im Rahmen der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“ nehmen die Besuche prominenter Paten eine große Rolle ein. Bekannte Persönlichkeiten aus dem Fußballsport trainieren gemeinsam mit den jugendlichen Strafgefangenen, unterhalten sich mit ihnen und sprechen den Inhaftierten Mut für ihren zukünftigen Lebensweg zu. Im Kontext der Patenschaft des Schalke 04 mit der JVA Herford kamen mit Martin Max und Tomasz Waldoch zwei Hochkaräter in der Geschichte der Königsblauen in die ostwestfälische Haftanstalt. Der freie Journalist Wolfram Kämpf war mit vor Ort.
Bis die Mienen finster werden, dauert es keine 30 Schritte. Eben noch standen Martin Max und Tomasz Waldoch gut gelaunt vor der schmucken, beinahe einladend wirkenden Fassade der Justizvollzugsanstalt Herford und feixten ein wenig – wohl auch um die Unsicherheit loszuwerden. Nun sind sie drinnen. Hinter Gittern. Die schönen Backsteinmauern sind zwar immer noch zu sehen, doch die Kulisse dominieren nun Stacheldraht, Zäune, Überwachungskameras und vergitterte Fenster. „Hier sieht es schon anders aus”, sagt Max und erntet damit ein ernstes Nicken seines Kollegen von Schalke 04. Es ist kein Heimspiel für die beiden einstigen Bundesligaprofis.
Martin Max und Tomasz Waldoch in der Justizvollzugsanstalt Herford.
Das ändert sich erst, als sie den Fußballplatz der Anstalt betreten und dort auf die Jungs treffen, mit denen sie an diesem Nachmittag eine Trainingseinheit absolvieren werden: Es sind Kicker, die einen Platz in der Gefängnis-Mannschaft ergattert haben, die Teil der Initiative „Anstoß für ein neues Leben” ist. Ein Projekt der Sepp-Herberger-Stiftung und der Bundesagentur für Arbeit, das inzwischen in 17 Haftanstalten in neun Bundesländern durchgeführt wird, um jungen Straftätern mit Sport, Ausbildung und intensiver Betreuung eine bessere Perspektive für die Zeit nach der Inhaftierung zu eröffnen.
Ziel: Wieder im Verein Fußball spielen
Die Begrüßung fällt knapp aus. Aber viele Worte sind jetzt auch nicht mehr nötig. Ein Platz, ein paar Bälle, elf Spieler und zwei Ex-Profis in den 40ern, die immer noch topfit sind – mehr braucht es nicht für eine gute Zeit, für Fußball. “Du machst Passübungen, ich Schusstraining. Zum Abschluss gibt es ein Spiel”, sagt Max zu seinem Mitstreiter. Damit hat der zweifache Bundesliga-Torschützenkönig die wesentlichen Pflöcke eingerammt. Es kann losgehen.
Über den Platz schallen jetzt die Anweisungen von Waldoch und Max und die Inhaftierten ziehen mit. Es geht um gelungene Pässe, saubere Ballannahmen, eine ordentliche Klebe ins Eck. Kurz: es geht um Fußball. Alles andere ist in diesen Minuten egal. Die Kulisse, die meist schwierige Vergangenheit der 17- bis 23-Jährigen und die nicht selten bedrückende Gegenwart spielen keine Rolle. “Es ist schon etwas Besonderes, mit solchen Leuten zu trainieren und eine super Abwechslung”, sagt Torwart Christoph. Als Torjäger Max und Waldoch als polnischer Nationalspieler noch Helden der Jugendlichen auf beiden Seiten von Oder und Neiße waren, waren Fußballschuhe noch ausnahmslos schwarz und Christoph noch ein Kleinkind. Da stand die Uhr noch auf null, die spätere kriminelle Karriere war noch weit weg. Und genau an diesen Punkt will der Lockenkopf wieder kommen. In einem Monat wird er entlassen. Dann will er neu anfangen, einen Job finden und wieder im Verein Fußball spielen. “Möglichst hoch”, sagt er.
Bekannte Persönlichkeiten aus dem Fußballsport trainieren gemeinsam mit den jugendlichen Strafgefangenen.
Sport als Persönlichkeitsschule
Genau diese Ambitionen will die Initiative wecken. Und Markus Görtz, einer der Sportbeamten der Haftanstalt, glaubt, dass das gelingt. “Die Jungs lernen, sich an Regeln zu halten und der Sport macht sie ausgeglichener und erhöht eindeutig ihre Frusttoleranz”, sagt der 43-Jährige. Die zusätzlichen Fußballeinheiten und Turnierstarts sind aber auch ein Anreiz an sich. “Die meisten haben ja wirklich Lust zu spielen”, erklärt Christoph Real, der Coach der Anstoß-Mannschaft. “Dass die Teilnahme an gutes Benehmen und besonderes Engagement in Sachen Ausbildung geknüpft ist, nehmen sie gerne in Kauf.” Auf das Highlight, das Treffen mit den beiden einstigen Fußballstars, die heute in verschiedenen Abteilungen von Schalke 04 tätig sind und regelmäßig für die Traditionself der Knappen auflaufen, hat Real hat seine Spieler eigens vorbereitet. Er hat ihnen erklärt, wer da kommt.
Nach Rückschlägen wieder aufstehen
Nach dem Training gehen die jungen Männer der Sache selbst auf den Grund. Sie fragen nach den größten Erfolgen und besonderen Momenten, dem Verlauf der Karriere. Max erzählt vom Triumph im Uefa-Pokal, als er und seine Gelsenkirchener Mitspieler 1997 in Mailand das Elfmeterschießen gewannen und damit eine ganze Region in Euphorie versetzten; Waldoch spricht über das Olympia-Finale mit Polen vor 110.000 Zuschauern gegen Spanien (2:3) und seine beiden DFB-Pokalerfolge mit dem Ruhrgebietsklub. Aber beide erzählen auch von den Rückschlägen und vor allem dem unbändigen Willen, danach wiederaufzustehen.
Und ihre Zuhörer zeigen mit ihren Blicken, dass sie wissen, was gemeint ist. Mit Rückschlägen kennen sie sich aus. Viele stammen aus schwierigen Verhältnissen. Die “schiefe Bahn” war für sie der einfachste Weg geradeaus, logische Konsequenz von kaputtem Elternhaus und falschem Freundeskreis. “Erfolge im Sport und in der Ausbildung zeigen ihnen nun, dass sie doch keine Looser sind. Sie gewinnen ein anderes Selbstwertgefühl”, sagt Heinz-Herbert Droste, der stellvertretende Anstaltsleiter in Herford. Apoore (20), einer der fußballbegeisterten Häftlinge, sieht noch einen anderen Vorteil: “Wir haben als Team einen besonderen Zusammenhalt entwickelt. Das hilft während der Zeit hier drin.” Er hat in der JVA Tischler gelernt – eine von zwölf Ausbildungen, die den 222 Insassen in Herford angeboten werden. Wenn er die Anstalt in wenigen Tagen verlässt, geht er also nicht ohne Rüstzeug. Max und Waldoch nehmen am späten Nachmittag etwas anderes mit nach draußen: ein schwarzes Trikot der Anstoß-Initiative und die Überzeugung, dass Apoore und den übrigen Inhaftierten zwischen den Mauern eine Perspektive eröffnet wird. Die zwei gehen, wie sie gekommen sind: mit gelöster Miene.