Rap verbindet – Projekt „Teamsong“ ist Teil der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“
15. Mai 2017 Zurück zur Artikelübersicht »

Förderung von Team- und Sozialkompetenzen, Stärkung der Selbstwirksamkeit, Schulung sozialer Verhaltensweisen – die Ziele des Rap- und Songtext-Workshops „Teamsong“ weisen viele Parallelen zu den Potenzialen des Fußballs auf. So verwundert es auch nicht, dass das Projekt „Teamsong“ Teil der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herberger-Stiftung ist und gemeinsam mit der Klangstiftung in Jugendstraf- bzw. Justizvollzugsanstalten ausgerichtet wird. Der freie Journalist Wolfram Kämpf war beim Workshop in der JVA Heinsberg dabei.

In ein paar Wochen will Leon von dem, was heute sein Alltag ist, nichts mehr wissen. „Ich möchte das alles hier nach meiner Entlassung hinter mir lassen“, sagt der 19-Jährige. Da ist nichts, was er festhalten oder mitnehmen will. Und wer die tristen Betonwände, die Zäune und den Stacheldraht um ihn herum sieht, kommt nicht auf den Gedanken, ihm zu widersprechen. „Aber natürlich werde ich die Zeit hier nicht vergessen“, sagt er, „vor allem nicht die Jungs.“

Die Jungs, das sind seine Mitinhaftierten in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg, 40 Kilometer nördlich von Aachen. Die Jungs sind aber auch sein Team, seine Brücke zwischen jetzigem und neuem Leben. Leon, der eigentlich nicht Leon heißt, aber seinen Namen nicht veröffentlicht wissen will, ist einer von 16 Inhaftierten, die den Sprung in eine Fußball-Mannschaft der JVA geschafft haben und sich nun im Rahmen der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herberger-Stiftung das Rüstzeug für den Neustart nach der Haftentlassung holen. Sie alle haben damit ein gemeinsames Ziel vor Augen. Und sie alle sind gerade dabei, ihrem Leben, ihrer Mannschaft und ihrem Glauben an einen Neuanfang einen Soundtrack zu verpassen. Einen eigenen Teamsong.

Rapper Danny Fresh hat das für die Aufnahme des Teamsongs nötige Equipment mitgebracht

Fußball und Rap – das passt!

An diesem Morgen ist Danny Fresh zu ihnen gekommen. Den Besuch des namhaften Rappers haben die Anstoß-Initiative und die Klangstiftung möglich gemacht. Der Musiker hat das für die Aufnahme des Teamsongs nötige Equipment mitgebracht. Laptop, Lautsprecher, Kopfhörer und Mikrofon. „Alles andere“, sagt er, „habt ihr selbst dabei.“ Sprache, Worte, Sätze, Lust, etwas zu sagen und Lust auf Rap. Das letzte fehlende Puzzleteil ist das Gefühl für Rhythmus und den Beat. „Das kriegen wir auf jeden Fall auch hin“, sagt Danny Fresh. Er hält die Einstiegshürde bewusst niedrig. Denn er weiß, dass schon das Dabeisein Mut erfordert. „Natürlich will man sich nicht voreinander blamieren“, sagt auch Leon, „aber wir haben ja alle keine Ahnung davon, Musik zu machen und es ist klar, dass hier niemand über den anderen lacht.“ Dass genau das klar ist, hat auch Danny Fresh zur Begrüßung betont. Es geht um Respekt untereinander. Es geht um Offenheit und Ehrlichkeit. Und es gibt keinen Zwang. Das sind schon alle Regeln – doch diese wenigen Abmachungen sind elementar, unverrückbar. Denn ohne sie gibt es kein gutes Ergebnis.

Der Gedanke, darin eine Parallele zum Fußball zu sehen, drängt sich auf. Wer mitmachen will, benötigt ein Mindestmaß an Talent, aber vor allem Teamgeist und Disziplin. In den insgesamt 17 Anstoß-Mannschaften, die es inzwischen in allen Teilen der Republik gibt, gilt das wohl noch mehr als in den Fußball-Teams außerhalb von Gefängnismauern. Dabei waren klar definierte, verlässliche Abläufe und das Respektieren von Absprachen für die Mitglieder der Anstoß-Mannschaft vor ihrer Haftzeit nicht immer feste Bestandteile des Alltags. Im Gegenteil. Schließlich kommen die meisten dieser nach Jugendstrafrecht verurteilten jungen Männer aus weniger behüteten Verhältnissen, haben in ihrer Kindheit und Jugend allzu oft die Schattenseiten des Lebens kennengelernt. Und sie sind alle straffällig geworden. Wegen ein paar Flausen oder eines dummen Zufalls sitzt jedenfalls niemand im Knast. Auch nicht in der JVA Heinsberg.

„Rap kommt nun einmal von der Straße“

Doch der Fußball hilft. „Die Jungs unterstützen sich. Sie bremsen sich gegenseitig, wenn sie im Begriff sind, gegen die Regeln zu verstoßen“, sagt Thomas Klein, Sozialarbeiter der JVA Heinsberg. Zumal der Sport Ablenkung ist und die Chance bietet, sich Privilegien zu erarbeiten. Das Team trainiert zweimal wöchentlich, nimmt an Turnieren teil und heute nimmt es einen eigenen Song auf.

Acht Stunden verteilt auf zwei Tage hat man dafür Zeit. Das ist nicht viel. Aber Danny Fresh fängt diesen Zeitdruck ab. Er flachst, ermuntert und fordert. Immer mit einem Strahlen im Gesicht. Und immer in der Sprache der Jungs, die um ihn herum sitzen. Es ist die Sprache seiner und ihrer Musik. „Rap kommt nun einmal von der Straße“, sagt er. Das hört man. Er drückt sich nicht derb, aber eben auch nicht gekünstelt oder abgehoben aus. „Es ist beeindruckend zu sehen, wie schnell es ihm gelingt, eine lockere Atmosphäre zu schaffen“, sagt Nico Kempf, stellvertretender Geschäftsführer der Sepp-Herberger-Stiftung. Tatsächlich sind nach ein paar Minuten von anfänglicher Nervosität, Ungewissheit und Aufregung nicht viel geblieben. Und der letzte Rest verschwindet, als Danny Fresh zum ersten Mal das Mikro in die Hand nimmt, spontan rappt, was ihm just in diesem Moment in den Kopf schießt und dabei mit Rhythmus und Reim spielt, als habe er lange daran gefeilt.

Es entsteht ganz schnell eine lockere Atmosphäre beim Projekt “Teamsong”

Gewaltfreie Kommunikation im Vordergrund

Der 38-Jährige erntet Beifall. Aber er spendet auch Applaus, wenn einer der Inhaftierten seine ersten Schritte beim Kreieren des Sounds und des Songtextens hinter sich gebracht hat. Denn er weiß, wie wichtig Mut und Willen sind, wenn man anderen seine Ideen und Gefühle offenbart und zum ersten Mal in ein Mikrofon spricht. Außerdem will ja nicht er den Teamsong schreiben. Das sollen die Jungs tun, mit seiner Hilfe. „Wer sieht, wie Danny und die Teilnehmer des Workshops kommunizieren und miteinander arbeiten, weiß, dass das einfach perfekt passt und da etwas wächst“, sagt Karsten John, Projektmanager der Klangstiftung.

Zufall ist das alles nicht. Der Rapper aus Heidelberg hat schon im Verlaufe seines Studiums  Erfahrung mit Workshops in Justizvollzugsanstalten gesammelt. Später folgten weitere Projekte hinter Gittern. Immer ging es wie auch in Heinsberg um gewaltfreie Kommunikation. „Ich fühle mich wohl dabei und hatte von Anfang an keine Berührungsängste“, sagt er. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Sepp-Herberger-Stiftung hat er nach einem Testlauf im vergangenen Herbst an sieben weiteren Standorten mit jungen Inhaftierten Teamsongs aufgenommen. Und immer wieder ist er dabei über Naturtalente gestolpert. Noch mehr beeindruckt haben ihn jedoch die Geschichten, die seine Mitstreiter in den Zeilen und Reimen offenbaren. „Zuerst geht es meist um Rap-typische Stereotypen. Dicke Autos, scharfe Mädels, graue Ghettos. Aber je länger wir zusammen arbeiten, desto mehr öffnen sich die Jungs. Dann erzählen sie ihre Geschichten. Dann stößt man auf echte Perlen“, meint er. Man reduziere diese Menschen allzu oft auf ihre Straftaten. „Dabei ist da so viel mehr“, sagt Danny Fresh.

Rüstzeug für den Neustart

Dass im Leben noch einiges mehr auf ihn wartet, als der Alltag in der Justizvollzugsanstalt, hofft auch Leon. Die Monate in Heinsberg sollen bald nur noch Erinnerung sein. Der Neustart soll gelingen. Deshalb hat er sich für eine Teilnahme an der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“ entschieden. Er hat Fußball gespielt, Bewerbungs- und Berufsberatung in Anspruch genommen und seine sozialen Kompetenzen geschärft – denn auf diesen drei Säulen fußen Erfolg und Idee der Initiative. Er verlässt die JVA also nicht mit leeren Händen, obwohl – oder gerade weil – er alles hinter sich lassen will. Und noch etwas wird er mitnehmen. Den Sound seiner Mannschaft. Einen echten Teamsong.