18. Oktober 2016 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Im Rahmen der Resozialisierungsinitiative „Anstoß für ein neues Leben“ absolvierten Spielerinnen des 1. FC Köln ein gemeinsames Fußballtraining mit weiblichen Strafgefangenen aus der JVA Köln. Ein Bericht von Wolfram Kämpf über eine nicht alltägliche Übungseinheit.
Seit dem ersten Moment der Sprachlosigkeit sind fast sechs Stunden vergangen. Sechs Stunden voller Eindrücke, deren Intensität erneutes Schweigen hinterlässt, als die Tür der Justizvollzugsanstalt in Köln-Ossendorf hinter den Fußballerinnen des Zweitligisten 1. FC Köln ins Schloss fällt. Sie sind wieder draußen und beginnen, das Erlebte zu sortieren. Das braucht einen Moment.
Am Morgen betraten die Sportlerinnen und Verantwortlichen des Kölner Klubs schon einmal schweigend das Pflaster vor dem Eingang des Gefängnisses. Aus der anderen Richtung. Angespannt. Im Wissen, gleich eine andere Welt zu betreten. Eine Welt, die fremder kaum sein könnte, auch wenn sie nicht weit entfernt liegt. Genau genommen trennt nur eine dicke graue Betonmauer die vertraute Umgebung von der unbekannten. “Ihr alle habt wahrscheinlich diese Mauer noch nie von der anderen Seite gesehen, oder?”, fragt Nico Kempf und durchbricht in diesem Moment das Schweigen der Fußballerinnen. Mit seiner Frage verwandelt der Projektleiter der DFB-Stiftung Sepp Herberger die Anspannung seiner Zuhörerinnen für einen Moment in Gelächter. Die Antwort lautet schließlich unisono: Nein. Die Perspektive von der “anderen Seite” zu kennen, würde ja nicht weniger bedeuten, als schon einmal inhaftiert gewesen zu sein – oder zumindest Kontakt zu einem Gefängnisinsassen gehabt zu haben. Bis zu diesem Morgen eine weit entfernte Vorstellung im Leben der jungen Sportlerinnen.
Patenschaft des 1. FC Köln über Team der JVA Köln
Erst die nächsten Stunden ändern dies. Denn die Fußballerinnen sind gekommen, um weibliche Strafgefangene im Alter von 16 bis 21 Jahren zu treffen und mit ihnen eine gemeinsame Trainingseinheit zu bestreiten. Sie füllen damit eine Patenschaft des Kölner Traditionsklubs mit der JVA im Stadtteil Ossendorf mit Leben, die im Herbst 2015 begann und Teil der Initiative “Anstoß für ein neues Leben” der Sepp-Herberger-Stiftung ist. Dabei wurden deutschlandweit bislang in insgesamt 17 Justizvollzugsanstalten sogenannte “Anstoß-Mannschaften” gegründet, deren Mitglieder sich in gemeinsamen Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen unterstützt von der Bundesagentur für Arbeit, den Justizministerien und regionalen Fußballverbänden auf die Zeit nach der Haftentlassung vorbereiten. In Köln-Ossendorf bilden weibliche Inhaftierte, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden sind, dieses Team. Die Mannschaftsmitglieder sind damit ähnlich alt wie die Besucherinnen vom 1. FC Köln. Dennoch fällt die Begrüßung verhalten aus. Zu anders, zu fremd sind die Mädels im jeweils anderen Dress.
Der Fußball als verbindende Kraft
Locker wird es erst, als kurz darauf das Training beginnt und der Ball rollt. Irgendwann spielt die Kulisse aus roten Backsteingebäuden mit doppelt vergitterten Fenstern, Nato-Draht und Zäunen keine Rolle mehr. Es geht um gelungene Aktionen, Tore, Beinschüsse und auch das Stolpern beim Absolvieren des Aufwärmprogrammes. Kurz: es geht um Fußball. “Sport hat ohne Frage eine enorme, verbindende Kraft”, sagt Kempf, während die Fußballerinnen auf dem Platz beim gemeinsamen Abschlussspiel in gemischten Mannschaften miteinander feixen.
Ileana Wünsche kann das nur bestätigen. Als Bedienstete der JVA kümmert sie sich unter anderem um das “Anstoß-Team”. “Die Mädchen haben zwar zum größten Teil vorher noch nie in einer Mannschaft Fußball gespielt, sind aber mit großer Motivation dabei und halten sich in aller Regel an alle Absprachen”, sagt sie. Selbstverständlich ist das nicht. Denn ihre Mannschaft stellen Jugendliche mit speziellem Hintergrund. Sie stammen oftmals aus schwierigen sozialen Verhältnisse “und haben schon in jungen Jahren eine Menge Mist erlebt”, erklärt Wünsche. Und alle haben Straftaten im beträchtlichen Umfang begangen. “Wegen eines dummen Zufalls ist jedenfalls niemand hier”, so Wünsche. Das Leben mit dem Halt einer Gemeinschaft und klaren Regeln, denen man sich freiwillig unterwirft, ist da nicht unbedingt vertrautes Terrain. Doch das Training, das Team, der Fußball motivieren. “Es macht Spaß und ist einfach eine gute Abwechslung. Genau wie der Besuch der FC-Spielerinnen”, sagt eine der Inhaftierten. Eine verständliche Perspektive, für ein Leben in einer Welt, die am Ende des Flurs oder an einem vergitterten Fenster endet.
Anstoß für ein neues Leben
In acht Monaten wird sich aber auch der 18-Jährigen wieder eine andere Perspektive bieten. Dann sind die Uhr und der Kalender runtergezählt. Dann beginnt wieder das Leben in Freiheit. Ob der Fußball noch eine Rolle spielen wird, weiß sie nicht. Die Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung, das neben dem wöchentlichen Fußballtraining auch Angebote im Bereich Schiedsrichter- oder Trainerausbildung, Bewerber- und Anti-Gewalt-Training umfasst, dürfte ihr aber bessere Startvoraussetzungen eröffnen. Auch wenn zuerst noch ganz andere Dinge wichtig sein werden: “Ich will zurück zu meiner Familie”, sagt die 18-Jährige, “wieder ein Handy haben und vielleicht eine Weile Urlaub machen.” Und sie weiß auch, was sie nicht will: zurück ins Gefängnis.
Die Spielerinnen des 1. FC Köln können das nur allzu gut nachvollziehen. Die vielen Zäune und Gitter, die engen Zellen, mit ihren schäbigen Spiegeln und Kloschüsseln, dünnen Schaumstoffmatratzen und der schlechten Luft, haben nachhaltig beeindruckt. Genau wie der Rundgang durch die tristen Flure und das ständige Verriegeln der Türen hinter ihnen. Das müssen sie nicht sagen. Das sieht man ihnen an, als sie am Nachmittag ins Freie treten und die Tür der JVA hinter ihnen ins Schloss fällt.