Sepp Herberger und die Gründung der Bundesliga
28. Mai 2013 Zurück zur Artikelübersicht »

Als Aktiver hat es Sepp Herberger zwar in die Nationalmannschaft geschafft, aber im Verein nur bis zum Bezirksliga-Spieler. Dieser scheinbare Widerspruch wirft ein bezeichnendes Licht auf die Zustände in der Pionierzeit des deutschen Fußballs. Womit wir heute Dorf- oder allenfalls Kleinstadt-Fußball, Ascheplätze und zwei­stellige Zuschauerzahlen verbinden, verbanden die Zeitgenossen Herbergers großen Sport. Etwas Höheres als die Be­zirksligen gab es bis 1932 im Deutschen Reich nicht, es waren deren 55. So durften sich rund 600 Vereine als erstklassig fühlen. Udo Muras über den Fußball in den 1950/60er Jahren und Herbergers Rolle bei der Gründung der Bundesliga.

Sepp-Herberger-und-die-Gruendung-der-Bundesliga_meldungenteaserDass es in anderen Ländern schon Nationalligen gab, sahen die Deutschen wohl, doch es fehlte lange der politische Wille, ihnen nachzueifern. Und die Strukturen, was immer etwas mit Geld zu tun hat. Und welcher Verein hatte schon in den Nachwehen des 1. Weltkriegs mit Inflation und Arbeitslosigkeit die Mittel, alle zwei Wochen durchs ganze Land zu fahren? Wie der Spieler Sepp Herberger diese Zustände empfunden hat, wissen wir nicht so genau. Doch der Reichstrainer war noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein glühender Verfechter einer Reichsliga. Seinen Aufzeichnungen, aus denen er seine Memoiren machen wollte, verdanken wir einige aufschlussreiche Erkenntnisse, wie Sepp Herberger über die Gründung einer solchen zentralen Liga, die erst 1963 mit der Bundesliga Wirklichkeit werden sollte, dachte. Herberger, das ergibt das Quellenstudium eindeutig, war ein geistiger Vater der Bundesliga, die im August 2012 ihr 50. Jubiläum feierte. Ihretwegen hat er sogar noch ein Jahr als Bundestrainer dran­gehängt, wie er notierte: “Die Einführung der Bundesliga hat mein Rücktrittsgesuch verzögert. Ich kenne die Verhältnisse innerhalb des DFB und seiner Vereine wahrscheinlich so gut, wie sie außer mir keiner kennt. Dieser Einblick hat es mir dringend geboten erscheinen lassen, wenigstens das erste Jahr einer Bundesliga noch im Dienst zu bleiben, also bis 1964.”  Herberger hatte Sorge und sah schon damals voraus, was erst 2000 Realität werden sollte: dass sich die Vereine der obersten Klasse (in der DFL) verselbstständigen würden. “Die Bundesliga wird zu einem Instrument der Macht, sie soll autonom werden!”, notiert er kurz nach deren Gründung am 28. Juli 1962. “Wohin es führt, ist ebenfalls bestens bekannt. Die Liga hat die Macht, der DFB ist gerade noch dabei, als Briefkasten sozusagen.”

Konzentration der Kräfte

Und doch waren es Luxus-Sorgen im Vergleich zu den Jahren des Kampfes um ihre Durchsetzung. Der begann schon 1932, noch ohne Herberger. Der DFB-Vorstand hatte auf dem Bundestag die Einführung des Profitums im kleinen Zirkel vorbereitet, auf dem nächsten Bundestag Ende Mai sollte die Reichsliga gegründet werden. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 machte dem einen Strich durch die Rechnung, die Idee von Profifußballern passte nicht ins Weltbild der Nationalsozialisten.

Aber im August 1939, mittlerweile gab es nur noch 18 oberste Ligen – die “Gau-Ligen” –, stand die Reichsliga wieder auf der Tagesordnung eines “außerordentlichen DFB-Bundestags” mit den 18 Gau-Fachwarten. Im Kicker stand damals: “Dass die Reichsliga kommt, erscheint heute wohl so gut wie sicher. Es fragt sich nur, wann sie kommt und in welcher Form sie die neue Epoche des deutschen Fußballs einleiten soll. Die Reichsliga muss eines Tages kommen, wenn die deutsche Fußballbewegung nicht in der Mittelmäßigkeit ersticken soll.” Sepp Herberger berichtet, wie er an jenem 25. August abends um elf in Berlin im Hotel “Russischer Hof” davon erfuhr, dass im fernen Bremen die Entscheidung wieder einmal verschoben werden musste. Denn der Krieg mit Polen nahm an diesem letzten August-Wochenende Formen an, und nicht nur das Länderspiel gegen die Schweden wurde “wegen drohender Kriegsgefahr” abgesagt. Herberger erfuhr von einem Funktionär, dass “die Tagung in Bremen aus demselben Grund wie unsere Reise ein Opfer der politischen Entwicklungen war. Das Thema Reichslage sei mitten im Schwunge gewesen, als die Tagung aufgelöst wurde.”

Herberger war enttäuscht, seit zwei Jahren war er als Reichstrainer für die Nationalmannschaft allein verantwortlich. Auch für das frühe Aus bei der WM 1938. Ihm war an einer Konzentration der Kräfte also sehr gelegen – und nicht nur ihm. Zitat Herberger: “Die Fußball-Nationalmannschaft und ihre Führung waren schon immer für eine Konzentration der besten Spieler und Vereine in einer kleinen Spitzenklasse. Dieses Thema war schon unter Otto Nerz sehr häufig Gegenstand des Gesprächs zwischen Nerz und mir.” Nach Nerz’ Rücktritt – offiziell 1938, praktisch schon 1936 – führte Herberger in den regelmäßigen Gesprächen mit DFB-Präsident Felix Linnemann das Thema einer “Spitzenklasse” an. Linnemann musste nicht überredet werden, der Widerstand kam eher aus den Gauen des Reiches. Aber im August 1939 standen die Chancen gut, der Boden war bereitet. Linnemanns Plan sah eine dreiteilige – also immer noch keine zentrale – Reichsliga zu je 18 Vereinen vor. Start: 1940/41. “Und dann kam jener Tag von Bremen, der Tag, der uns eine Reichsliga bringen sollte. Und wieder gingen alle Hoffnungen in die Brüche”, schrieb Herberger.

“Punktgewinn oft im Spaziergang”

Acht Tage später brach der Krieg aus; niemand dachte daran, den Fußball zu reformieren. Es war mühsam genug, den Status quo zu erhalten, ganze Mannschaften fraß der Krieg, und die alsbald verschärften Reisevorschriften erlaubten ohnehin keinen überregionalen Sportverkehr. Als der Krieg vorüber war, rollte der Ball schon Ende 1945 wieder – auf höchster Ebene nunmehr in vier Oberligen und der Stadt-Liga Berlin. Herberger war immer noch Nationaltrainer – ab 1950 “Bundes­trainer” – und musste nun Spieler aus über 80 Erstligisten auswählen. Im Januar 1954 analysierte er vor der sensationellen WM in der Schweiz den Zustand der Oberligen so: “Die Handbremsen der Leistung: zu viel Vereine im Verhältnis zur Zahl der guten Spieler. Die Folgen dieses Missverhältnisses: Na­tionalspieler und Talente im Feld der Mittelmäßigkeit überragend ohne Anstrengung.”

Er be­klagte die Dominanz der Supermächte in den Ligen, dass Abonnementsmeister wie der HSV im ­Norden oder Kaiserslautern im Südwesten den “Punktegewinn oft im Spaziergang” schafften. Das schlage sich auf die Einstellung der Spieler in Wettkampf und Training nieder. Folgen seien “unzureichende Kondition” und “keine Übung und keine Erfahrung im 90-minütigen Wettkampf”. Wes­halb etwa 1951 in Dublin das Spiel gegen die Iren im Endspurt verloren gegangen sei (2:3). Immer wieder käme auch das “Ab­stoppen, wenn Sieg gesichert schien”, vor.

Kurzum: Seine Nationalspieler bräuchten regelmäßig starke Herausforderungen, die die Oberligen nicht bieten konnten. Hier waren Schützenfeste an der Tagesordnung, zweistellige Resultate keine Seltenheit. Sein düsteres Fazit lautete: “Der deutsche Fußball krankt an seinem Spielsystem.” In Herbergers Aufzeichnungen finden sich Entwürfe eines neuen Systems; es sieht eine zweigeteilte Bundesliga zu je 16 Klubs vor, wobei Nord und West sowie Süd und Südwest je acht Teams stellen sollten. Sie sollte nach seinen Wünschen 1960/61 in Kraft treten. Inwieweit er davon die DFB-Gremien informiert hat, ist nicht bekannt – aber da er als Bundestrainer regelmäßig im DFB-Beirat saß, der dem Vorstand sogar übergeordnet war, ist davon auszugehen. Ein stiller Verfechter seines Anliegens war er sicher nicht. So findet sich in seinen Unterlagen ein Brief von DFB-Präsident Peco Bauwens, der ihn und seine Assistenten Helmut Schön und Georg Gawliczek am 30. Januar 1957 bittet, “sich aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten” und Vorschläge zur Bundesliga doch bitte “offiziell dem DFB-Vorstand unterbreiten” zu wollen. Von dem Schreiben bekam auch die Presse Wind und so musste Herberger lesen, ihm “sei von oben her bedeutet worden, dass die Ge­staltung des Spielsystems keine Angelegenheit des Bundestrainers sein kann”. Herbergers Randnotiz dazu lautete: “Oho!! Von wegen. Peco hat bloß um Zu­rückhaltung gebeten.” Wie auch immer – auch diese Liga kam nicht.

Steuerliche Hürden

Während nunmehr in Europa alle Nationen eine Nationalliga hatten, waltete ausgerechnet im Land des Weltmeisters noch das Prinzip der Kleinteiligkeit. Mit dem fühlten sich immer mehr Verantwortliche unbehaglich. Franz Kremer, Präsident des 1. FC Köln, gründete schon 1949 die “Interessengemeinschaft Bundesliga und Berufsfußball”. Er war ein Geistes-Bruder Herbergers, aber sie waren noch nicht stark genug. Auf dem DFB-Bundestag 1958 kam die Bundesliga erstmals nach dem Krieg auf die Tagesordnung, aber sie blieb eine schöne Vision. Noch immer fand sich keine Mehrheit.

Sepp Herberger gab nicht auf. 1961 hielt er vor Spielausschuss-Obleuten, heute würde man sie Sport-Direktoren nennen, der Regional- und Landesverbände in Wiesbaden ein Referat und beklagte nach einem Pressebericht, dass es “dem deutschen Fußball an der Konzentration der Kräfte fehlt”. Im Januar 1962 schrieb er dem FDP-Vorsitzenden Erich Mende aufgrund einer kritischen Äußerung des Finanzministers Dr. Starke hinsichtlich der Bundesliga: “Ich hoffe, dass die zuständigen Behörden Verständnis für die Bemühungen aufbringen würden, dem Spitzenfußball ein im Interesse der weiteren Entwicklung des deutschen Fußballs und seiner internationalen Geltung wünschenswertes System zu ge­ben.” Denn es galt auch steuerliche Hürden zu übernehmen; die Vereine fürchteten, die Gemeinnützigkeit zu verlieren, auch fürchteten sie die zehnprozentige Vergnügungssteuer. Dass sein Traum quasi aus steuerlichen Gründen scheitern würde, wollte der Bundestrainer nicht einfach so hinnehmen. Nachdruck verlieh diesen Worten die Nationalmannschaft bei der WM in Chile. Das frühe Aus im Viertelfinale bekräftigte die Skeptiker, die das herrschende System für den Niedergang des deutschen Fußballs verantwortlich machten. Hinzu kam, dass immer mehr Nationalspieler, die in Deutschland nur 400 Mark im Monat verdienen durften, ihr Heil im Ausland suchten. Italien angelte sich Spieler wie Schnellinger, Szymaniak oder Brülls, auch an Uwe Seeler wurde schon gebaggert. Diese Entwicklung spielte Herberger in die Karten. Schon auf dem DFB-Bundestag in Stuttgart – also noch vor Chile – war beschlossen worden, dass auf dem nächsten Bundestag über die Bundesliga-Gründung abgestimmt werden sollte.

“Endlich haben wir sie!”

Am 28. Juli 1962 war es im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle endlich so weit. Auch Herberger war als Bundestrainer als Delegierter für die Region Mannheim für den Süddeutschen Verband stimmberechtigt. Noch während der Auszählung gab er sich gegenüber Reportern skeptisch, aber auch einer wie er konnte sich einmal irren. Das überwältigende Ergebnis von 103:26 gab Herberger und den anderen Vorkämpfern lauthals recht. Als Sepp Herberger den Goldsaal verließ, strahlte er übers ganze Gesicht: “Diese Entscheidung macht mich froh. Endlich haben wir sie.”

Nun galt es, dem Kind das Laufen beizubringen. Herbergers Kampf war noch nicht zu Ende und sein Rat und seine Fähigkeiten wurden weiterhin gebraucht. Am 1. März 1963 etwa rief ihn Hans Körfer vom DFB-Spielausschuss an und informierte ihn von Strömungen in der fünfköpfigen Bundesliga-Kommission. Deren Aufgabe war es unter anderem, die Anzahl der Teilnehmer festzulegen. Körfer bat Herberger, in der Frage “16 oder 18 Klubs” Einfluss zu nehmen. Wörtlich schreibt Herberger leicht amüsiert: “Gleichermaßen empfiehlt er mir auch die ‘Bearbeitung’ von Neuberger.” Dahingehend, dass es bei 16 Klubs bleibe. Einen Brief in gleicher Sache erhielt er von Franz Kremer, Kölns Präsident, der ihm seine Argumente für eine 16er-Liga schickte und um “Zusätze oder Änderungsvorschläge” bat.

Mit dieser Frage beschäftigte sich auch der DFB-Beirat im Mai 1963 in Köln, und wieder saß Herberger mit am Tisch, als die endgültige Größe (16 Klubs) festgelegt wurde.

“Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!”

Als die Liga am 24. August 1963 startete, saß Herberger in Karlsruhe und sah Duisburgs Helmut Rahn, seinen Berner Helden, stürmen. Rahn, zuvor in den Niederlanden aktiv, war eigens wegen der Bundesliga nach Deutschland zurückgekehrt. Auch dieses Detail mag den Bundestrainer in seinem Engagement um die neue Klasse bestätigt haben. Dem „Fußball Sport“ gab er am nächsten Tag ein Interview und sagte: “Natürlich erleichtert mir die Konzentration der Spitzenkräfte in der Bundesliga die Arbeit. Ich werde möglichst viele Bundesliga-Spiele besuchen.”

Es war eine bittere Ironie der Geschichte, dass er selbst nur ein Jahr von der Einrichtung jener Institution profitieren konnte, für die er an beinahe jedem Tag in seiner 28-jährigen Amtszeit gekämpft hatte. Mit dem Ergebnis seiner Bemühungen konnte er dennoch sehr zufrieden sein. Bei einem Vergleich der Zustände von “früher” und “heute” kommt er 1967 zu einem vollauf befriedigenden Zwischen­ergebnis. “Alle Kandidaten auf kleinem Tablett – Schärfste Konkurrenz und Rivalität um den Platz an der Sonne – Die Zeit für Spaziergänge ist vorbei! – Die Vereine liefern fertige Spieler – Tägliches Training – Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!”