„Anstoß für ein neues Leben“: Turnier in der JVA Siegburg – Oliver Kahn im Dialog mit jugendlichen Gefangenen
14. September 2009 Zurück zur Artikelübersicht »

Der Turniersieg der JVA Hövelhof beim Fußball-Turnier des Jugendstrafvollzugs von NRW um den Sepp-Herberger-Pokal im Rahmen des Projekts „Anstoß für ein neues Laben“ wurde zur Nebensache. Im Mittelpunkt stand der Botschafter der DFB-Stiftung Sepp Herberger, Oliver Kahn, der die Patenschaft über die integrative Fußball-Initiative der ältesten deutschen Stiftung übernommen hatte und einen Tag mit den rund 90 inhaftierten projektteilnehmenden Jugendlichen in der JVA Siegburg verbrachte.

“Kahn im Knast” – was klingt wie eine auflagensteigernde Schlagzeile auf dem Boulevard, hat einen durch und durch seriösen Hintergrund. Denn Oliver Kahn, Ex-Nationalspieler und -Welttorhüter, Champions-League- und UEFA-Pokal-Gewinner, mehrmaliger Deutscher Meister und Pokalsieger, ist auch Botschafter der DFB-Stiftung Sepp Herberger – und hat als solcher am heutigen Samstag junge Sträflinge in der Jugendjustiz- vollzugsanstalt (JVA) Siegburg besucht.
Dem Ex-Nationalspieler ging es dabei um weit mehr als die Siegerehrung der Mannschaften beim zweiten Turnier um den Sepp-Herberger-Pokal, an dem sechs JVA-Teams aus Nordrhein-Westfalen auf dem Gelände des Siegburger Gefängnisses teilnahmen. Kahn war vor allem gekommen, um im Rahmen der integrativen Fußballinitiative “Anstoß für ein neues Leben” mit rund 90 inhaftierten Jugendlichen zu sprechen, sie zu motivieren, ihnen Hoffnung zu geben.

Das ist ihm in imponierender Manier gelungen. “Es war ein toller Nachmittag”, resümierte der frühere Nationaltorhüter. “Die jungen Leute haben mich nicht nur vom Fußballerischen her überrascht, sondern auch damit, wie offen sie mit mir geredet haben. Das hat mich sehr beeindruckt.”
Zu Beginn seines Besuchs wurde Kahn auf dem Sportgelände im Innenhof von den knapp 100 Projektteilnehmern und insgesamt 72 Sportlern – darunter zwölf junge Frauenfußballerinnen aus der JVA Köln – begeistert empfangen. Dass es danach nicht in erster Linie um Autogrammstunde und Fotoshooting gehen sollte, machte Nordrhein-Westfalens Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter klar: “Oliver Kahn steht für Leistungsbereitschaft, Zielstrebigkeit und Disziplin. Das sind Dinge, die die jungen Leute von ihm lernen können – und zwar fürs Leben und nicht nur den Fußball.”

Zunächst einmal informierte sich Kahn über das Leben in der JVA. Nach einer Führung durch Teile der Anstalt kam es dann zu einem Höhepunkt des Besuchs: Der prominente Stiftungsbotschafter stellte sich rund 90 Häftlingen in einem “Motivierungsgespräch” mit anschließender Fragerunde.
Dabei vermittelte der 40-Jährige den jungen Menschen Werte wie Fairplay und Fleiß (“Ich war nie der Talentierteste, aber ich habe trainiert wie ein Bekloppter”), vor allem aber sein Credo: “Es muss immer weiter gehen. Auch nach Niederlagen und Rückschlägen muss man immer wieder aufstehen.”
Davon gab es in Kahns glanzvoller Karriere einige: “Das Champions-League-Finale 1999 haben wir mit Bayern auf das Grausamste verloren, zwei Jahre später hatten wir den Pott. 2002 habe ich sechseinhalb Begegnungen perfekt gespielt, dann kommt der Fehler von mir, und wir verlieren das WM-Endspiel gegen Brasilien. Ich war am Boden zerstört, habe mich aber wieder aufgerappelt.”
Natürlich wolle er seine persönlichen Niederlagen nicht mit ihren Schicksalen vergleichen, so Kahn im Dialog mit den Häftlingen, “aber es gibt sicher einige Parallelen zwischen euren Situationen und dem Sport.”
Ein Beispiel, mit dem alle etwas anfangen konnten: “2006 bei der WM in Deutschland war ich nicht die Nummer eins, das war vielleicht meine größte Enttäuschung. Dass ich mich nicht verdünnisiert habe, war die wichtigste Entscheidung meines Lebens – ich bin daran als Mensch gewachsen.”
Kahns Lehre daraus, die Vorbildcharakter für die jungen Straftäter haben kann: “Wenn man sich schwierigen Situationen stellt, wird man vom Leben dafür belohnt. Sich nicht vom Leben unterkriegen lassen – das gibt Kraft und Selbstvertrauen.”

Selbstvertrauen über den Sport – das ist ein Konzept, auf das die Jugend- vollzugsanstalten und die DFB-Stiftung um Geschäftsführer Manuel Neukirchner setzen. Das war wunderbar zu beobachten beim Sepp-Herberger-Cup, der ansprech- enden Fußball bot. “Da wurde teilweise klasse gespielt”, so Kahn.

Das Finale verfolgte er komplett und sah, wie das Team der JVA Hövelhof seinen Titel durch einen Erfolg im Elfmeterschießen gegen die Auswahl aus Herford verteidigte. Bei der anschließenden Siegerehrung ließ es sich der Vizeweltmeister von 2002 nicht nehmen, allen Mannschaften persönlich zu gratulieren und die Pokale zu überreichen.
Auch dabei imponierte dem Leiter der JVA Siegburg besonders, dass sich der prominente Gast ganz natürlich in dem ungewohnten Umfeld bewegte und sich selbst zurücknahm: “Oliver Kahn ist ganz authentisch und wirklich fantastisch mit den Sträflingen umgegangen”, sagte Wolfgang Klein, der Gastgeber an diesem Nachmittag. “Genau das war uns auch wichtig: Die jungen Leute sollten beim Besuch dieses Stars nicht nur im Rahmenprogramm auftreten, sie sollten keine Randfiguren sein.”
Übrigens auch ein Wunsch für die spätere Wiedereingliederung der Straftäter in die Gesellschaft.

“Anstoß für ein neues Leben”: Einzigartiges Langzeitprojekt
In dem bislang einzigartigen Langzeitprojekt “Anstoß für ein neues Leben”, bei dem der DFB mit dem NRW-Justizministerium und den Handwerkskammern kooperiert, wird in den sechs Jugendjustizvollzugsanstalten von Nordrhein-Westfalen jeweils eine Fußballmannschaft aus verurteilten Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren gebildet, die durch eine pädagogische Kraft und einen Paten aus dem Fußball betreut werden.
In kontinuierlicher Gruppenarbeit sollen den jungen Gefangenen durch den Sport nach und nach persönlichkeitsbildende und soziale Fähigkeiten vermittelt werden, die später eine Rückkehr in das gesellschaftliche Leben erleichtern sollen. Gemeinsam mit dem NRW-Handwerk will die Sepp-Herberger-Stiftung auch bei der beruflichen Wiedereingliederung der jugendlichen Straftäter nach der Haftzeit helfen.
Das Projekt “Anstoß für ein neues Leben” wird von einer Reihe namhafter Persönlichkeiten aus dem Fußball unterstützt. Unter anderem haben die Stiftungsbotschafter Oliver Kahn, Horst Eckel, Uwe Seeler und Helmut Haller sowie Steffi Jones, Präsidentin des Organisationskomitees für die Frauenfußball-WM 2011, Nationalspieler Lukas Podolski, DFB-Trainer Heiko Herrlich, der frühere Nationalspieler Klaus Fischer oder Ex-Profi Erik Meijer Patenschaften in den Gefängnissen übernommen.